Tigra

meine Sonderklasse

Benjamin 1903 Mitten im Sommer 1991 wird die Yacht aufgepallt und halbverhüllt am Zeuthener See bei Berlin gesichtet. Ihre bestechend schönen Linien machen sie auf der Stelle zum Objekt der Begierde; und tatsächlich, sie wechselt ihren Besitzer und bekommt den Namen "Tigra". Noch lange nicht wird sie als Sonderklasse decouvriert. Die Schiffsplakette im Cockpit gibt den ersten Kick zu Nachforschungen in Bibilotheken und Archiven. Dabei wird der Yachtartikel "Gloria Germania. Pionier und Genie: Max Oertz " aufgestöbert und leise läßt sich erahnen, dass es sich bei "Tigra" wohl um etwas besonderes handeln muss. Erst die zufällige Entdeckung eines Halbmodells beim ASV in Berlin - die jährliche Max- Oertz Regatta findet gerade statt - mit exakt "Tigras" Linien bringt die Erkenntnis, dass "Tigra" eine Sonderklasse ist. Auf der Rückseite des Halbmodells ist mit Bleistift vermerkt: Eigner: Hans Harder, Schiffsname: "Benjamin" Baujahr: 1903, sowie die Regattaerfolge dieses Jahres. Im Archiv des ASV findet sich dann schnell ein Riss vom "Benjamin". Auch hier stimmen Linien und Maße (gr. L. 9,40; gr. Br. 1,92; Tiefgang 1,37; etc.) mit "Tigra" überein. Nun bin ich mir ziemlich sicher: "Tigra" ist "Benjamin".

Halbmodell Benjamin

Highlight der Nachforschungen ist die Entdeckung von Hans Harders Aufsatz "Benjamin" im ASV-Jahrbuch von 1904. Harder beschreibt hier sehr liebevoll und anschaulich Entstehung und Werdegang seiner neuen Sonderklasse:
"Nach kurzem Telegrammwechsel am 12. Mai 1903 bestellte ich bei Max Oertz in Hamburg den "Benjamin". Nach 4 Tagen war der Riss fertig, dann wurde die Yacht abgeschnürt, und am 15. Juni übernahm ich den "Benjamin" fertig zur Vermessung. Trotz der sehr kurzen Bauzeit und der vielen übrigen Arbeiten auf der Werft ist der Bau in jeder Beziehung als ein äusserst gelungener zu bezeichnen."...

Laut Gerücht sollen für die nächste Rennsaison bereits zwei Sonderklassen in der Oertzwerft auf Kiel gelegt worden sein; wahrscheinlich für den Kaiser und den VSaW. Da Bestrebungen im Gange waren, die Sonderklasse sterben zu lassen, blieben die Bestellungen aber aus und so konnte der Benjamin in aussergewöhnlich kurzer Zeit übergeben werden. Benjamin hatte eine Rennflagge aber keine Segelnummer. Die gab es erst ab 1912. Ich habe Benjamins Rennnummer (77) als Segelnummer für Tigra (S 77) übernommen.

Riss Benjamin Zum Saisonende wurde Benjamin schon wieder verkauft. Es war zu der Zeit nicht ungewöhnlich, sich nach kurzer Zeit von einer Yacht zu trennen. Manche wechselten die Schiffe wie andere die Hemden oder besassen gleich mehrere Yachten gleichzeitig.

Tigra ex Benjamin 2000 Heute läuft "Benjamin" alias "Tigra" als getarnte Sonderklasse. Es grenzt an ein Wunder, dass ihr Bleikiel, das Balanceruder und die Ruderpinne im Originalzustand erhalten sind. Leider wurde ihr Gaffelrigg vom Voreigner gegen eine Hochtakelung ausgetauscht und irgendwann im Laufe ihres langen Lebens wurde ihr eine Kajüte verpasst. Das war früher durchaus üblich, wenn die Yachten nicht mehr ausschließlich für Rennen genutzt worden sind. Über die Kajüte gibt es immer wieder zahlreiche Diskussionen. Gleichwohl, Kajüte hin oder her, "Tigra" war Liebe auf den ersten Blick und ist nach wie vor hinreissend wie am ersten Tag.

Ausserdem habe dich durch Tigra meine inzwischen über 80-jährige Tante Elmy am Wolfgangssee nach Jahrzehnten wiedergefunden und auch besucht. Sie war stolze Eignerin der berühmten Sonderklasse "Falkenstein" (S88, v. Hacht,1914). Die hat sie von Ihrem Vater Hans Schulze geerbt. Der war gebürtiger Berliner, begeisterter Segler und Gönner des UYCWg. Sein Name taucht in Verbindung mit vielen anderen Yachten und in Regattalisten der Kieler Woche auf. Das ist jedoch eine andere Geschichte.
Die Anschaffung einer neuen Garderobe: - die abgelegten Segel von der Chiavenna nämlich -trägt hoffentlich dazu bei, dass Tigra bei den nächsten Regatten mit der Segelfläche von 51qm (vermessen!) wieder den einer Sonderklasse angemessenen Platz erkä:mpfen kann. Gute Chancen gabs noch unter alter Besegelung bei der letzen Havel- Klassik: günstiger Wind bis Stä:rke 7, aber widrige UmstÄnde (Vorsegelriss, diverse Grundberührungen) vor allem aber eigene Dusseligkeiten (Ausrauschen der Grossschot und unnötiges Umrunden einer Boje) kosteten kostbare Minuten und gewiss einen Platz im ersten Drittel.
Pokal aus dem Familiensilber


Obwohl wir bisher noch nicht mit seglerische Leistungen brillieren konnten, gab es doch jedesmal bei der Havel-Klassik vom ASV einen wohlwollenden Preis für Tigra als älteste Yacht. Glanzstück meiner sehr übersichtlichen Sammlung ist ein ungewö:hnlich geschmackvoller Silberpokal - der "1. Punktpreis Sonderklasse 1925". Verehrt wurde mir das gute Stück von meiner lieben Tante Elmy aus lauter Begeisterung, wieder eine Sonderklasse in der Familie zu haben.



Angela und Benjamin 1903
Der Kronprinz lernt auf seiner Angela (70) und auf dem Wannsee die Kunst des Sonderklassesegelns, begleitet von Benjamin (77). Aus dem Familienalbum des Akademischen Seglerverins zu Berlin


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